Adalbert Depiny: Lehrerjahre

Adalbert Depiny, 1883–1941
Adalbert Depiny, 1883–1941

1907/08 begann er seine Lehrerjahre in Budweis. In seinen Böhmerwaldbuben und auf Wanderungen lernte er Lnad und Leute in ihrem Grenzlandkampf kennen. Im Herbst 1908 sollte er nach Bregenz gehen, das ihm wegen der Nähe seiner schwäbischen Freunde und für seine schwäbischen Pläne sehr gelegen gewesen wäre. Ehe er noch hinfuhr, erhielt er vom Ministerium die Aufforderung, die Stelle anzutreten, aber mit einem Kollegen in Görz zu tauschen. Es wurde ihm zugesagt, daß er bald nach Wien versetzt würde, um seine Habilitationspläne verwirklichen zu können. Im November 1908 ging er nach Görz. Seine „Sonnenjahre“ nennt er selbst diese Zeit. Das Leben schien auch sonnig vor ihm zu liegen:
reiche Arbeit, die vor allem der Habilitationsschrift galt, reiche Arbeitspläne mit den Freunden, die Wege in Wien so weit geebnet, daß die Verwirklichung seiner Habilitation nur eine Frage kurzer Zeit schien. Der Dienst an der deutschen Realschule in Görz war freilich nicht leicht. Die Mehrzahl der Schüler waren Nichtdeutsche, der Nationalitätenstreit zwischen Slowenen, Italienern, Friaulern und Deutschen in höchster Blüte – ruhige Schuljahre waren es nicht, sie forderten den ganzen Takt des Lehrers. Aber die feste Gemeinschaft der deutschen Lehrer, die manch wertvolle Freundschaft einbrachte, die Schönheit der südlichen Landschaft, ein schönes Heim und vor allem die voller Tatkraft begonnene Forschungsarbeit machten diese Zeit wertvoll und ließen den jungen Lehrer reiche Erfahrungen sammeln. Er erkannte, was ihm schon in Schwaben in Bezug auf den Dichter klar geworden war, daß die Menschen nur aus ihrer Landschaft und volkstümlichen Umgebung heraus voll zu verstehen sind. Seine volkskundlichen Studien halfen gerade bei der schwierigen Behandlung der fremdsprachigen Schüler, denen er eben aus der Kenntnis ihres Volkstums heraus nahezukommen suchte. Dies und seine unbestechliche Gerechtigkeit erwarben ihm die Achtung der Schüler, sodaß er, im Gegensatz zu anderen, keine disziplinären Schwierigkeiten fand. Umso tragischer war das Ende. Zunächst konnte er trotz glänzender Qualifikation die Versetzung von Görz nicht erreichen. Der Direktor, dem er als Direktionsadjunkt alle Arbeit machen mußte, wodurch er auch mitten ins Getriebe der nationalen Streitigkeiten kam, wollte seine Arbeitskraft nicht verlieren und fügte der Qualifikation, die er ihm vorgelegt hatte, heimlich den Zusatz „lungenkrank, braucht den Süden“ bei. Als Depiny davon Nachricht erhielt, konnte er durch ein amtsärztliches Zeugnis den Gegenbeweis erbringen, der Direktor wurde pensioniert. Aber die Versetzung nach Wien war hintertrieben. Inzwischen brach der Weltkrieg aus. Depiny hatte sich gleich zu Beginn freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, war aber nicht angenommen worden. Bei der schwankenden Haltung Italiens lag Görz an gefährdeter Stelle. Die Amtsstellen versicherten noch wenige Tage vor der italienischen Kriegserklärung, es komme nicht zum Krieg mit Italien, die Beamten sollten nichts von ihren Sachen wegbringen. Mit dem letzten Zug, der nach Norden fuhr, verließ Depiny die Stadt unter Zurücklassung seiner ganzen Habe, von der er nach dem Krieg nur mehr wenig wiederfand. Seine wertvolle Bücherei war verloren. Aber das Schicksal traf ihn noch härter. Er hatte in acht Jahren mühevoller Sammelarbeit in einem Zettelkatalog die Vorbedingungen geschaffen für seine Habilitationsschrift über die Entwicklung des deutschen religiösen Schauspiels aus den lateinischen Spielen des Mittelalters. Diesen Zettelkatalog schickte er nach Linz, die Kiste zerbrach und nur wertlose Reste der mühseligen Arbeit kamen in seine Hände. Damit waren auch seine Habilitationspläne gescheitert. Er scheint später, 1920, noch einmal daran gedacht zu haben, diese Arbeit wieder aufzunehmen, als er von einigen Schülerinnen die Reime alter Volksschauspiele verzetteln ließ. Durch seine Berufung zum Volksbildungsreferenten und andere Hindernisse wurde auch diese Arbeit eingestellt und der Traum der akademischen Lehr- und Forschungstätigkeit für immer begraben. Eine andere Arbeit, die Einleitung zu den Nikolausspiele aus Tirol (2), lag in der Druckerei, die durch einen Granattreffer ausbrannte – so war auch diese Arbeit zerstört. Die Forschungsarbeit von acht Jahren war mit einem Schlage vernichtet.

1915 kam Depiny nach kurzer Militärdienstzeit in Wien und einigen Wochen Schuldienst an der Realschule in Laibach an das Staatsgymnasium in Linz, wo er bis 1918 wirkte. 1918 verstand sich die österreichische Regierung endlich dazu, den alten Wunsch der Friauler nach deutschen Schulen und einer Ordnung des Schulwesens zu verwirklichen. Depiny wurde nach Görz gerufen, um an der Einigung des friaulischen Schulwesens aufbauend mitzuarbeiten. Er fand die zerstörte Stadt, die er bald wieder verließ – es war für diese Arbeit zu spät geworden, der Zusammenbruch war gekommen.
Die reichste Entfaltung seines Lehrerlebens fand Depiny durch die Berufung an die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt in Linz, an der er von 1918 bis 1924 als Deutschlehrer wirkte. Mit besonderer Bewilligung des Landesschulinspektors konnte er seinen neuen Weg in der Gestaltung des Deutschunterrichtes erproben. Deutschunterricht war ihm Erziehung zu Volkstum und Heimat. Dieses Ziel der Erfassung von Geist und Seele unseres Volkes aus allen seinen Lebensäußerungen, besonders aber aus dem Bild der Sprache heraus, stand warm und hell über allem. Die Sprachlehre wurde zu freudiger Erkenntnis der Schönheit und Klarheit unserer Muttersprache, ihre Weite und Tiefe erschloß sich, in der geschichtlichen Betrachtung bekam jede Wendung ihren tiefen Sinn. Wir stiegen hinab bis zu den althochdeutschen Quellen, der weite Kreis der Mundarten tat sich auf. Und ob wir in ehrfürchtiger Ergriffenheit die Werke hoher Dichtkunst betrachteten – Faust I und II, Wallenstein, das Nibelungenlied, Parzival, die letzten im Urtext, wurden in freiwilligen Stunden außerhalb des Unterrichtes gelesen – ob wir dem Volkslied lauschten, dem Sinn der Märchen nachforschten oder der lebendigen Volksüberlieferung nachgingen, immer empfanden wir sie als Ausdruck der Seele unseres Volkes. Die Geschichte spielte herein, Kunst und Kulturgeschichte zog er heran, die Volkskunde als umfassende Kunde vom Volk stand hinter allem. Wanderungen ergänzten, was in der Schulstube angeregt worden war.
Und seine Methode? Er schöpfte aus der reichen Fülle seines tiefen und erlebten Wissens und Könnens, nie gab es einen Leerlauf, das zwang uns hohe Achtung ab und weckte unsern Arbeitseifer. Er überwand durch sein verstehendes Eingehen auf unsere Gedankenwelt und seine strenge Gerechtigkeit viele Klippen, das sicherte ihm unser Vertrauen. Er behandelte uns als ernst zu nehmende Menschen, das gewann ihm unsere Liebe. In der Erziehung zwang er niemals seine Meinung auf; aber er stand mit dem ganzen Einsatz seiner edlen Persönlichkeit hinter jedem Wort, hinter jeder Forderung, das ließ uns freiwillig tun, was er von uns erwartete. So wurden für alle, die das Glück hatten, unter seiner Führung zu stehen, diese Jahre zu einer unvergeßlichen Zeit dankbaren Aufnehmens und ernsten Strebens. Die Freude an der Heimat und den Willen, ihr selbstlos und treu zu dienen, hat er seinen Schülern als wertvolles Erbe und verlierbaren Besitz geschenkt. Ich spreche wohl im Namen aller seiner Schüler, die ihn verstanden haben, wenn ich ihm noch ins Grab ihren Dank nachrufe. Es war die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, da die politischen Wogen auch in den Schulen hochgingen. Von Klassengemeinschaft war wenig mehr zu spüren, der Parteienhader machte auch vor der Schulstube nicht halt. Da war es wieder Depiny, der den Weg heraus fand. Wir gründeten unter seiner Führung eine Schulgemeinde. Sie wurde bei uns ernst genommen und schuf in uns ein Gemeinschaftsgefühl, das seine verbindende Kraft über Jahre der Trennung und verschiedene Meinungen hinaus bewahrt hat. Das danken wir unserem „Jahrgangsvater“, der uns in allen Nöten des Schullebens treulich beigestanden und immer unsere Sache verfochten hat. Er spannte uns aber auch tüchtig zur Arbeit ein, und wir haben mit dem ganzen Eifer begeisterter Jugend volkskundlich gesammelt, abgeschrieben, verzettelt, freiwillige Stunden gehalten, Arbeitsgemeinschaften gepflegt, unsere kleinen Feste würdig gestaltet und öffentliche Abende gegeben. Er gründetet mit uns eine Mädchenortsgruppe des oberösterreichischen Heimatvereins, der bald andere Ortsgruppen folgten. Wir schmiedeten Pläne für die Zukunftsarbeit, von denen freilich das Leben die reichste Blüte verkümmern ließ. Es traf uns wie ein Schlag, als er uns sagte, er käme von der Schule weg. So jung wir waren, wir hatten erkannt, daß er damit einer Arbeit entfremdet würde, die seinem Wesen am tiefsten entsprach und ihm die reinste Befriedigung geben konnte. Er hat auch später seine Lehrerjahre als die glücklichsten seines Lebens empfunden.


(2) Nikolausspiele aus Tirol. Görz 1912 (1.Teil), 1913 (2. Teil).

Adalbert Depiny.
Ein Lebensbild
Autorin: Martha Khil


Ein Artikel aus
OÖ. Heimatblätter
Jg. 1; Heft 1/1947

 
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