Die Legenden vom heiligen Wolfgang

Vom heiligen Wolfgang, welcher sich gegen Ende des zehnten Jahrhunderts am Gestade des Abersees aufhielt, und von dem auch der See den Namen Wolfgangsee führt, existieren verschiedene, zum Teil sich widersprechende Sagen im Volke.

Der heilige Wolfgang trat mit seinem Freunde Piligrin zwischen den Jahren 958 und 994 zur Bekehrung der Ungarn und Österreicher auf. Einst schlief er an einem Sonntage auf einem harten Felsen ein, während die heilige Messe gelesen wurde. Zur Strafe dafür wollte er sich mit einer Axt seine beiden Füße abhauen; da schwand der Boden plötzlich und der Schlag war vereitelt. Zum Andenken an dieses sichtbare Rettungswunder wurde die Kirche zu St. Wolfgang erbaut. Noch befindet sich dort der Stein, worin man die Eindrücke der mit dem Felsen sinkenden Füße bemerkt.

 

Eine andere Version dieser Sage lautet:

Als der heil. Wolfgang noch in der Gegend der heutigen Steyermark (soll wohl heißen: des heutigen Salzkammergutes) die dort lebenden Heiden zum Christentum bekehrte, schlug er seinen Hauptsitz am Fuße des Wechselberges auf, von wo aus er seine Bekehrungszüge unternahm. Durch seine Menschenfreundlichkeit gewann er die Liebe und Anhänglichkeit der Heiden und verschaffte dadurch der christlichen Lehre Eingang. Er lehrte sie aber auch das Metall aus der Erde graben und dasselbe verarbeiten, insbesondere das in dieser Gegend in großen Mengen vorkommende Eisen. Er zeigte ihnen die Anfertigung von Äxten, Messern, Waffen und verschiedenen anderen Gegenständen zum Hausgebrauch. Er lehrte sie zuerst mit eisernen Gerätschaften die Erde auflockern und bebauen, und war so der Begründer des steyrischen Ackerbaues.

Er grub Lehm, brannte ihn, lehrte die Bewohner ihre Hütten aus rohen Ziegeln aufführen und verband endlich die Ziegeln mit Mörtel. Sein eigenes Haus war mit den mannigfachsten Holzgeräten versehen. Man fand bei ihm sowohl rohe, aus Brettern und Baumstämmen zusammengefügte Einrichtungsstücke, als auch künstlich ausgearbeitete Schnitzwerke, wie: Kruzifixe, Figuren und ausgeschnittene Bilder, deren man noch jetzt in der Gegend viele zeigt, und von denen man sagt, sie seien vom heil. Wolfgang gearbeitet.

Unter anderem zeigt man in der Kirche eine Axt, von welcher erzählt wird: Der heilige Wolfgang hat, als er das dortige Eisen aus dem Boden grub, schmelzte und schmiedete, als erstes Werkzeug diese Axt verfertigt. Mit derselben hieb er Bäume nieder und machte daraus Bretter zu den verschiedenartigsten Hausgerätschaften. Er grub damit Lehm und Eisen in großer Menge aus der Erde und machte mit derselben einen großen Teil der Waldungen urbar, teilweise lichtete er die Wälder und bahnte durch die übrigen Waldstellen Wege zum Verkehre. Er beförderte dadurch auch den Tauschhandel, namentlich mit Getreide. Als er so neben der Ausbreitung der christlichen Lehre auch für das leibliche Wohl gesorgt hatte, nahm er die Axt, bestieg den Wechselberg und warf sie in das Tal mit den Worten: „Nachdem ich euch also leiblich vereint habe, so soll auch euch ein geistiges Band umschließen; wo die Axt hinfällt, soll eine Kirche entstehen.“ Er stieg sodann ins Tal hinab, suchte seine Axt auf, und als er sie gefunden hatte, baute er mit eigener Hand ein Gotteshaus aus gebranntem Lehm auf, in welchem er die bekehrten Heiden täglich versammelte, den Gottesdienst abhielt und aus der Mitte der Neubekehrten einen Priester weihte. Darauf kehrte er auf seinen Bischofssitz in Regensburg zurück. Man zeigt auf einem Felsen noch die Fußstapfen, von denen das Volk sagt, dass sie von dem heil. Wolfgang getreten seien, als er die Axt ins Tal schleuderte.

 

Nach dem allgemeinen Volksglauben war es der Falkenstein, welcher am nördlichen Ufer des Sees steil aus den Fluten emporsteigt, wo der heilige Wolfgang, Bischof von Regensburg, fünf Jahre als Einsiedler lebte, und wo noch jetzt eine Kapelle sich befindet und die Einsiedelei zu sehen ist. Nach dem Tode desselben pilgerten alsbald gläubige Christen zu dessen wundertätigem Grabe, und noch jetzt rufen die Wallfahrer, wenn sie über den See zum Schiffe heimkehren, unter der Felsenwand des Falkensteins: „Heiliger Wolfgang, dürfen wir aufs Jahr wiederkommen? Alsdann sag‘ ja!“ und das wunderherrliche Echo ruft das letzte Wort „Ja“ mehrfach zurück, und der fromme Wallfahrer fasst den Vorsatz, der freundlichen Einladung im kommenden Jahre wieder nachzukommen.

Endlich wird berichtet, der heilige Wolfgang soll nach fünfjährigem Aufenthalte von einem Jäger entdeckt und durch eine Gesandtschaft aus Regensburg eingeladen worden sein, wieder auf seinen Bischofstuhl daselbst zurückzukehren.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
III. Legenden und fromme Sagen