Die erste Ansiedlung in der Gegend von Lambach

Um das Jahr 90 nach Christi Geburt befand sich am Attersee ein Edelsitz, Comma genannt, wo jetzt das Schloss Kammer stehen soll. Hier hauste eine edle, heidnische Ritterfamilie, welcher ein Töchterchen, Flavia, geschenkt war. Das Mädchen wurde, als es erwachsen war, zur weiteren Ausbildung nach Rom gesendet. Als es wieder in die Heimat zurückgekehrt war, entdeckten die bestürzten Eltern, dass ihr Kind den Glauben der Väter abgeschworen hatte und zum Christentum übergetreten war. Die Bitten der Mutter, die Strenge des Vaters blieben erfolglos. Sohin wurde beschlossen, das abtrünnige Kind zu verstoßen.

Flavia wurde gänzlich entkleidet in ein Schiffchen geschmiedet und den Wellen der reißenden Atter (gewöhnlich Ager genannt) preisgegeben. Durch wildes Gesträuch, Steinklippen und Fluthen getrieben, landete das Schiffchen mit der gefesselten Jungfrau nach einem schrecklichen Kampfe mit allen Gefahren in jener Au, wo die Traun und Ager zusammenfließen.

Weidende Lämmer, erschreckt durch das Jammergeschrei der Verlassenen, machten den Hirten aufmerksam. Einen Wolf vermutend, eilte derselbe herbei und erschrak nicht wenig, über den seltsamen Anblick. Von Mitleid ergriffen, löste er die Bande der Unglücklichen und brachte sie in seine Hütte, woselbst sie durch längere Zeit in tiefster Zurückgezogenheit lebte.

Der hartherzige Vater war inzwischen gestorben, und die liebende Mutter, welche Kriegsleute ausgesendet hatte, um den Leichnam ihres Kindes aufzusuchen, erfuhr den Aufenthaltsort der wunderbar Geretteten.

Nach vielem Zureden verließ Flavia ihre traute Zufluchtsstätte und kehrte nur unter der Bedingung in die Heimat zurück, dass sie im Glauben an Christus verharren dürfte.

Häufig besuchte Flavia den Hirten, der sie in ihrer Not an der Lämmerschwemme (Lämmerbach) mitleidig und gastlich aufgenommen hatte.

Diese Sage ist verewigt sowohl in dem Stifts-, als auch in dem Marktwappen von Lambach. Beide enthalten ein im fließenden Wasser schwimmendes, rotes Schiffchen, in welchem ein ganz entkleidetes, gekröntes Mädchen mit goldenem Haarschmuck und aufgelösten Haaren in sitzender Stellung sich befindet.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
III. Legenden und fromme Sagen