Der Heidelbeerstrauch

Es ging einst die Sage, dass die Heidelbeere dort die Erde bedecke, wo das Volk der Zwerge aus und ein schlüpfe und die goldenen, funkelnden Schätze im Boden verberge, um derentwillen das kleine Gelichter so viel beneidet und verfolgt wurde. Überall suchten die Zwerge unterzukommen und ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. In den Häusern der Menschen, im Dorfe und auf den gutsherrlichen Burgen, am Bachgestade unten, in dem Acker des Bauern, im Walde unter den Wurzeln der Bäume und draußen auf dem Friedhof inmitten der Gräber, wo das langhalmige Gras wuchs und die Weide mit gesenktem Haupte trauernd stand und ihr grünes hängendes Haar bis zur Erde niedergeleiten ließ, überall suchten die Zwerge nach Ruhe und Verborgenheit.

Aber umsonst. Überall wurden sie von den Menschen gefunden; überall wurde nach den Schätzen des kleinen Volkes gewühlt und gegraben, und der Spaten, die Spitzhaue, das Beil und der Pflug waren mit den beutegierigen Menschen im Bunde. Weinend und wehklagend, angstvoll und heimatlos wanderten die Zwerge durch die Welt. Da hatte der kleine Heidelbusch Erbarmen, und rief das Völkchen zu sich und versprach ihm sein bestes zu tun, um es in Zukunft zu schützen und zu verbergen. Die kleinen Leute sollten nur unterkriechen und es im Walde versuchen.

Und da krochen sie denn unter, alle die winzigen Zwerge und Koboldchen, die sonderbaren schnurrigen Kerlchen mit den großen Köpfen und den langen Bärten und mit den klugen Gesichtern, in denen so uralte, vieltausendjährige Weisheit lag.

Und alle trugen schwer an Silber und Gold und funkelndem Edelgestein, und was sie nicht selber tragen konnten, das hatten sie allerhand unterirdischem Getiere aufgeladen, den flinken Eidechsen, der Ringelnatter mit dem goldenen Reif, dem Maulwurf, dem langbeinigen Laufkäfer, der unerhörte Lasten trug. Die Zwerge kamen zu Fuß; die Kobolde aber ritten auf den Fröschen und schnitten unglaubliche Gesichter zum Zeichen, dass ihnen wohl zu Mute war.

Mehrere Tage dauerte der Zug; dann waren sie alle samt ihren Reichtümern im Heidelbeerdickicht verborgen und tief unter die Wurzeln geschlüpft, wo heute noch ungesehen und ungestört das Volk der Zwerge wohnt und haust.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
V. Romantische Sagen (Sagen verschiedenen Inhaltes)