Der Gleinkersee

An der Stelle des Gleinkersees, „der Perle des Garstner-Tales“, breiteten sich einst üppige Wiesen und fruchtreiche Felder aus, inmitten deren zwei hübsche Bauernhöfe sich befanden.

Die Besitzer dieser Höfe hielten stets gute Nachbarschaft, ja sie waren die innigsten Freunde, und ihre Kinder gegenseitig durch das Band der Ehe mit einander verbunden. In ihrem beiderseitigen, bedeutenden Viehbestand besaßen nun diese zwei Bauern je einen Stier, so stark und schön, dass ihresgleichen im ganzen Tale, selbst in den Meierhöfen des Stiftes Spital a. P., nicht zu finden waren. Sonderbarer Weise waren beide Tiere in allen Stücken einander vollkommen gleich, und durch ihre Eigenschaften der Stolz und die Freude ihrer Besitzer.

Sonst ganz gutmütig, gerieten beide Stiere eines Tages auf der Weide miteinander in Kampf. In den Bergen widerhallte ihr Gebrüll, und ihre Besitzer waren trotz aller Anstrengungen, die sogar ihr Leben gefährdeten, nicht im Stande, die Kämpfenden zu trennen. Das fürchterliche Schauspiel endete erst, als einer der Stiere tot am Platze lag.

Die Bauern wussten aber nicht, wessen der überlebende Stier sei. Nun brach unter den Besitzern ein arger Streit aus. Von den ärgsten Zornesausbrüchen kam es zu Tätlichkeiten, und jeder der Bauern schwor mit den gotteslästerlichsten Verwünschungen, dass der lebende Stier sein Eigentum sei.

Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, unter Donner und Blitz verschlang die Erde alles, was auf diesem kurz zuvor so fruchtbaren Flecke sich befand, und entstand darauf der Gleinkersee, in dessen Tiefe heute noch der in einen Riesenfisch verwandelte Stier haust.



aus "Oberösterreichische Volks – Sagen"
gesammelt von Kajetan Alois Gloning
I. Elementar-Sagen