Seit wann sich Linz auf Provinz reimt
Autorin: Elisabeth Schiffkorn
Mehrere Sagen entstanden rund um den Urlaubsstein, einen schmalen, efeuumrankten Felsen an der Straße nach Wilhering. Der Sage nach soll sich der Name von dem alten, auf Blech gemalten und mit einem Schutzdach versehenen Bild mit dem Titel: "Christus nimmt von seiner betrübten Mutter Abschied" herleiten. Der Linzer Bürger Johann Jax ließ an Stelle des alten Bildes eine große, dasselbe Geschehen darstellende Figurengruppe im Nazarenerstil anbringen. Das alte Bild fand im Linzer St.-Barbara-Friedhof einen neuen Platz.
Mehrere Sagen entstanden rund um den Urlaubsstein, ein Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Felsen um ein früheres Rechtsaltertum handeln könnte.
Die Jahreszahl 1608 auf einer Tafel wurde der Sage nach als Hochwassermarke gedeutet. Sie erinnert jedoch an die in diesem Jahr durchgeführte erste Verbreiterung des alten Donauweges. Der Felsen wurde teilweise abgesprengt und das alte Bild angebracht.
Eine Deutung leitet den Namen Urlaubsstein vom Brauch der Linzer Handwerksgesellen ab, die scheidenden Wanderburschen bis zu diesem Stein zu geleiten und dort von ihnen Urlaub zu nehmen, was im damaligen Verständnis Abschiednehmen bedeutete.
Franz Weigl aus St. Margarethen kennt eine weitere Deutung des Namens: "Die Soldaten der Fabrikskaserne durften, wenn sie Ausgang hatten, jedoch keinen Urlaubsschein, nur bis zum Urlaubsstein gehen. Jeder Schritt darüber hinaus wurde als Desertion angesehen."
Selbstmörder durften nicht in geweihter Erde bestattet werden. Daher berichtet eine weitere Sage, dass im alten Linz diese Toten zum Urlaubstein gebracht wurden, um sie dort, außerhalb der Stadtgrenze, der Donau zu übergeben.
Es könnte sein, dass diese drei Sagen die Erinnerung an eine ganz andere Funktion dieses Felsens zusammenfassen. Ernst Fietz schreibt über diesen Felsen in seiner Arbeit "Auf dem Weg zum römischen Ziegelofen bei Wilhering":
Nunmehr wuchtet linker Hand der gewaltige Urlaubsstein auf und zwingt die Straße zu einer kleinen Biegung. Der Urlaubsstein dürfte eine vorgeschichtliche Kult- und Gerichtsstätte gewesen sein. Urlaub bedeutete Abschied vom Leben. In den früheren Zeiten gab es keine Uferstraße, keinen Treppelweg, die Donau war nicht reguliert, und der Felsen reichte direkt in die Donau. Der Stromstrich der Donau führte wegen der Linksbiegung des Stromes direkt an den Fuß des Urlaubsteines heran. Der Stromstrich ist bekanntlich jene Stelle an der Oberfläche eines Flusses, an der das Wasser die größte Geschwindigkeit besitzt. Dieser Umstand wurde dazu benützt, um Landesverräter, des Verrates überwiesen und des Lebens für verlustig gesprochen, an ein Brett gebunden von der Spitze des Felsens herabzustürzen, damit sie das Wasser sicher aus der Gemarkung hinaustrage, da man damals Landesverräter nicht einmal tot in heimischer Erde haben wollte. Da der Stromstrich so nahe am Ufer auch für die Schiffahrt eine Gefahr bedeutete, haben Schiffsleute ein Christusbild an der Felswand des Urlaubsteines gestiftet.
Amand Baumgarten führt in seinem Werk "Aus der volksmäßigen Überlieferung der Heimat" unter dem Titel "Gute Nacht" oder auch:
"Beurlaubung eines Verstorbenen von allen Creaturen" ein Urlaubslied an. Der Verstorbene beurlaubt sich nacheinander in je einer Strophe von der Welt, von seinen Freunden, vom lieben Haus, von der Nachbarschaft, er bittet allen ab, die er beleidigt hat, er verabschiedet sich von den grünen Bäumen, von seinen Feldern, vom Gotteshaus und von seinem Seelenhirten.
Die zweite Strophe lautet:
Gute Nacht, meine lieben Freund,
Das Scheiden an mir ist heunt.
Ich Urlaub nimm und von euch scheid,
Morgen vielleicht ist es an euch,
Ob’s ihr zwar nicht vermeint,
Gute Nacht, meine lieben Freund.
In diesem Gedicht wird deutlich, dass noch im 19. Jahrhundert Urlaub nehmen mit Aus-dem-Leben-Scheiden gleichgesetzt wurde. Das alte Bild mit der Darstellung, wie Christus Abschied von seiner Mutter nimmt, könnte noch im Jahr seiner Anbringung 1602 als eine christliche Überhöhung der einstigen Bedeutung dieses Felsens in vorchristlicher Zeit verstanden worden sein.
Willibald Katzinger: "Urlaub = mhd. Úrloúp = erlauben. Dort nahm man ‚úrloúp‘, winkte noch einmal zurück und verschwand nach Westen – wenn man ordnungsgemäß, d. h. mit Erlaubnis, vereiste. Vermutlich konnte man immer um den Stein herumgehen."
Aus dem Buch "Linzer Sagen und Geschichten. Das Oberösterreichische Sagenbuch", Band 1 von Schiffkorn, Elisabeth. (Kap. 17, S. 158–161)