Das Höllengebirge und das verborgene Totenreich

Langbathsee, Höllengebirge
Langbathsee, Höllengebirge

Aus dem Buch "Sagen. Kulturschatz aus dem Salzkammergut" von Sepp Aitenbichler


Das gemeinnordische Wort Hölle wird im Althochdeutschen mit „hella" und im Mittelhochdeutschen mit „helle" bezeichnet und meint das verbergende und verborgene Totenreich. Hel war der Name der Todesgöttin. Erst durch die Christianisierung ging die Wortbedeutung in den Ort der Verdammnis über. Mit dem Höllengebirge ist augenscheinlich der ursprünglich geheimnisvolle Gebirgsstock gemeint, in dessen Bereich auch die Naturerscheinungen, die Riesen, Elfen, Nixen und Zwerge hausten.

Einstmals stieg ein Jäger von der Ebenseer Kohlstatt zum Höllengebirge auf. Er verfolgte mit Pfeil und Bogen den in den Himmel strebenden Adler, der sich stetig höher in die Lüfte treiben ließ, bis er über den Kranabeth Sattel hinaus glitt. In seinem Eifer bemerkte vorerst der Jäger die dunklen und nasskalten Wolken nicht, die ihm allmählich die Sicht zum Vogel raubten. Schließlich verlor er auf dem Weg zum Alberfeldkogel im Nebel beim Donnergrollen und in heftigem Sturm die Orientierung. Er verirrte sich im Kleinen Totengraben, später im Großen Totengraben und fand schließlich im Anstieg zum Großen Höllkogel nahe des Totengraben Gupfes einen Unterschlupf in einer Höhle.
Zu seiner Verwunderung begrüßte ihn hier ein weißbärtiger Zwerg, der eine brennende Kerze in seiner rechten Hand hielt. Dieser bat den erfolglosen Jäger, seinen Schlüssel in der Reichweite des Menschen auf einem Felsabsatz zu suchen, da er selbst zu klein sei. Der Mann ertastete den metallenen Gegenstand, nahm ihn in die Hand, bückte sich und überreichte ihn dem kleinen Bittsteller. Als Dank erhielt der Jäger einen funkelnden Kristall mit dem Hinweis:

„Von nun an wirst du auf alle Fragen eine Antwort wissen, dein Geldbeutel wird nie leer sein, und der Kristall wird dir auch zeigen, was unter der Erde verborgen ist. Hüte dich jedoch davor, einem Menschen zu verraten, wer dir den Edelstein gegeben hat!"

Nach seiner Ankunft im Tal zeichnete sich der Jäger durch seine Weisheit und seinen Reichtum aus. Trotz seines Wissens ehelichte er eine habgierige Frau, die ein goldenes Schloss bauen und arme Bittsteller abweisen ließ.

In seiner Verblendung erzählte der ehemalige Jäger seiner kaltherzigen Gemahlin, auf welch vertrauliche Weise er vom Zwerg den edlen Stein erhalten hatte. Der Kristall rollte in eine Spalte im Boden, und sogleich erhob sich furchtbares Grollen. Felsblöcke begruben das Schloss und erschlugen die Frau. Der Mann konnte sich retten und er war von nun an wieder ein gewöhnlicher Jäger, der in die Wälder und Berge stieg. Viele Menschen begaben sich daraufhin auf die Suche nach dem Kristall. Der Zwerg hatte ihn aber mit seinen Gehilfen in drei Teile gespalten:

Wer den ersten Teil fand, wurde ein kluger Mensch, wer den zweiten eroberte, wurde reich, wer den dritten erreichte, konnte tief in die Geheimnisse der Erde und des Totenreiches sehen. Die Zwerge hatten nämlich erkannt, dass der menschliche Geist für alle drei Gaben zugleich nicht groß genug ist!

Der in den Himmel hoch gleitende Adler zieht einsam seine Kreise, und die Wächter der Hel sind vergessen.



Aus dem Buch "Sagen. Kulturschatz aus dem Salzkammergut"
von Sepp Aitenbichler; S. 106; ISBN 978-3-9502460-0-1

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