In Bremen – das Geheimnis der Stadtmusikanten

Univ.-Prof. Dr. ROLAND GIRTLER
Univ.-Prof. Dr. ROLAND GIRTLER

Als vagabundierender Kulturwissenschafter bin ich in der Freien Hansestadt Bremen unterwegs. Bremen liegt an der Weser, ungefähr 60 Kilometer vor ihrer Mündung in die Nordsee. Eingeladen hat mich hierher Frau Stefanie Schniering vom Fachbereich Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Universität Bremen in das Haus Grazerstrasse 2c, um über meine Forschungen zu erzählen. Auch andere Straßennamen im Universitätscampus lassen an Österreich denken, wie die Linzer, Kremser und Spinaler Straße. Nach meinem Vortrag wandere ich durch den Campus und fahre mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Weiter führt mich mein Weg zur Weser, ich flaniere diese entlang und gelange schließlich in die Altstadt. Bald stehe ich vor dem berühmten Rathaus, das eines der bedeutendsten Bauwerke der Gotik Nordeuropas ist. Neben dem Rathaus, dessen Fassade voll von Symbolen ist. steht der Bremer Roland, eine über 4 Meter hohe Statue, die 1440 errichtet wurde. Dazu gibt es einen schönen Reim: Roland der Riese am Rathaus zu Bremen, steht er, ein Standbild standhaft und fest.

Roland steht hier als ein Repräsentant des Kaisers, darauf deutet das Schild mit dem Reichsadler hin, der der Stadt Reichsfreiheit garantiert. Die Bremer unterstanden somit nur dem Kaiser, sonst keinem Fürsten. Ich wandere nun zur linken Seite des Rathauses, dort steht eine Bronzeplastik. die die Bremer Stadtmusikanten, auf einem Sockel stehend, darstellt. Zuunterst steht der Esel, auf diesem der Hund, darauf die Katze und obenauf schließlich der Hahn. Geschaffen hat diese anmutige Plastik der deutsche Bildhauer Gerhard Marcks im Jahr 1953. Ich bleibe nachdenklich vor diesen bronzenen „Musikanten" stehen.

Die Bremer Stadtmusikanten sind vier Tiere, die von ihren Besitzern nicht mehr gewollt wurden.

Die Geschichte dieser vier Tiere wird im Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten" erzählt und von den Brüdern Grimm in ihrem 1819 erstmals herausgegebenen Buch „Kinder- und Hausmärchen" veröffentlicht. Dieses berührende Märchen beginnt mit dem alten Esel. der seinem Müller gute Dienste geleistet hat, schließlich aber alt und untauglich für das Tragen der Säcke wurde. Der Müller wollte ihn beseitigen, daher machte der Esel sich auf den Weg nach Bremen, um Stadtmusikant zu werden. Bei seinem Marsch dorthin traf er einen alten Hund, den sein Herr nicht mehr wollte. Der Esel lud den Hund ein, ihn nach Bremen zu begleiten. Die beiden gingen weiter und sahen eine alte Katze auf dem Weg, die ein „Gesicht machte wie drei Tage Regenwetter". Der Esel sprach sie mit „Bartputzer" an. Diese erzählte, ihre Frau wolle sie ersäufen, weil sie zu nichts mehr tauge. Auch sie schloss sich nun den beiden an. Schließlich trafen sie auf einen Hahn, der dasselbe Problem hatte wie die drei anderen. Zu ihm sagte der Esel den faszinierenden Satz: „Zieh mit uns, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall." Der Hahn ließ sich überreden, und so gingen alle vier zusammen fort. In einem Wald kamen sie zu einem erleuchteten Räuberhaus. Der Esel stellte sich mit seinen Vorderfüßen auf das Fenster, der Hund sprang auf seinen Rücken, die Katze kletterte auf den Hund. und auf ihren Kopf flog der Hahn hinauf. Sie machten nun Lärm, die Räuber liefen davon. Die vier hatten zu essen, und schließlich machten sie es sich in diesem Haus gemütlich usw. Nach Bremen kamen die vier nie.

Das Märchen weist auf die Probleme der früheren Dienstboten hin

Diese vier alten Tiere erinnern an die früheren Dienstboten, die bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten und von den Bauern nicht mehr gebraucht wurden bisweilen verjagt wurden. Meist zogen sie als „Einleger" von Bauernhaus zu Bauernhaus, wo man sie jeweils für ein paar Tage aufnahm. Oft schliefen sie im Stall, ehe sie weiterzogen. Wenn man den bronzenen Esel beim Rathaus an den Vorderfüßen hält, so soll dies Glück bringen. Auch ich nehme den Esel an den Vorderfüßen. Ich wünsche Frau Schering, den Damen und Herren, die an meinem Seminar teilgenommen haben, und allen Bremerinnen und Bremern das Beste und ziehe weiter.

Autor: Univ.-Prof. Dr. ROLAND GIRTLER
Artikel aus der Kronen Zeitung, Krone bunt


Autor: Univ.-Prof.
Dr. ROLAND GIRTLER
Artikel aus Kronen Zeitung, Krone bunt, 2017