Kraftorte im Spannungsfeld zwischen Realität, Glaube und Esoterik

Eine Nachlese zum gleichnamigen Vortrag anlässlich der
Jahrestagung 2013 des OÖ. Forum Volkskultur im Stift Reichersberg

Einleitung

Wenn man das im Titel genannt Spannungsfeld polarisiert betrachtet, stehen in der Diskussion um Kraftplätze unsensible Ignoranten und realitätsferne Phantasten einander gegenüber. Die Ignoranten sehen, spüren und hören nichts und lehnen alles ab, was sie bisher nicht wahrgenommen oder begriffen haben.

Phantasten wiederum geraten förmlich in ekstatische Verzückung, wenn sie sich mit Pendel und Rute bewaffnet im Wald auf einen Stein mit einem Loch setzen und die Eingebung von Druiden zu vernehmen glauben. Die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen, und dieser soll hier in nüchterner Analyse nachgegangen werden.

 

Pendel, Rute und die „relative Realität“

Vor dem Graben eines Brunnens lässt jeder Häuslbauer von einem Rutengeher geeignete Wasseradern aufspüren.
Dass Rute und Pendel über solchen ausschlagen, ist eine Tatsache.
Allerdings eignet sich nicht jedermann zum Rutengehen. Es gibt Menschen, bei denen sich das Zweiglein in der Hand unaufhaltsam dreht, sobald sie eine Ader überschreiten, während sich bei anderen Leuten an derselben Stelle gar nichts tut. Und ähnlich dürfte es sich bei der Wahrnehmung von Erdstrahlung verhalten. Das Granitgestein bedingt im Mühlviertel eine etwa zehnmal höhere Strahlung als im Alpenvorland. Es mag an geologischen Besonderheiten im Gestein liegen, dass die Strahlung auch in einem engeren Umkreis Unterschiede aufweisen kann. Weshalb manche Menschen die Fähigkeit zum Rutengehen haben und welche Kräfte es sind, die eine Rute in Bewegungen versetzen, konnte bislang nicht geklärt werden. Diese Tatsache müssen wir ebenfalls zur Kenntnis nehmen. An radioästhetisch auffälligen Orten wird beobachtet, dass Bäume verkrüppelt wachsen und dem Strahlenfeld durch Wuchs zur Seite anscheinend ausweichen. Es gibt ganz offensichtlich mehr zwischen Himmel und Erde, als wir wahrzunehmen vermögen. Daher dürfen wir nicht davon ausgehen, dass unsere Wahrnehmung die objektive Realität widerspiegelt. Realität ist nur zu oft das, was wir aufgrund unseres derzeitigen Wissensstandes für eben diese halten! Unser Wissen ändert sich, und somit auch die „Realität“.

Wie könnte alles angefangen haben?
Heute wie früher, in allen Kulturen, kennzeichnet den Menschen eine tief eingewurzelte Sehnsucht nach Transzendenz, dem sogenannten Übersinnlichen.
Schon immer standen Fragen im Raum nach dem Woher und Wohin, die philosophisches Denken anregten und zur Entwicklung religiöser Mythen oder spirituellem Empfinden Anlass gaben. Vieles, was sich in der Natur ringsumher ereignete und wahrgenommen wurde, konnte einst nicht verstanden werden, löste Angst aus. Man sah in unerklärlichen Beobachtungen von vornherein übersinnliche Erscheinungen und Kräfte.

Ich kann mir andererseits gut vorstellen, dass die Menschen ohne Licht, Elektrosmog und Ablenkung durch Medien feiner wahrnahmen als wir heute. Ich selbst habe sechs Monate auf den Philippinen in der Entwicklungshilfe gearbeitet und war fasziniert, dass die Manobos auf der Insel Mindanao (Ureinwohner) zwar weder lesen und schreiben können, doch mit Nichts im Regenwald überleben. Da hätten wir zivilisierte Menschen unsere liebe Not.

Irgendeiner unserer Vorfahren wird die sensationelle Entdeckung gemacht haben, dass sich ein Zweig, den er zufällig in Händen hielt, an einer bestimmten Stelle auf unerklärliche Weise zu bewegen begann. Neugierig war die Menschheit schon immer, und so wird man der Beobachtung nachgegangen sein und festgestellt haben, dass die Ausschläge einer Rute immer an denselben Stellen erfolgen. Nachdem diese geheimnisvolle Kraft an bestimmten Orten aktiv wird, war die Annahme unserer Vorfahren naheliegend, dass dort Übersinnliches präsent ist: ein Geist oder ein Gott.
Da man den Naturgewalten, aber auch Krankheiten hilflos ausgeliefert war, versuchte man, die Natur zu personifizieren und zu besänftigen. Man trat in Kontakt mit den Geistern und Wesenheiten der Natur. Und zu erreichen vermeinte man sie am besten dort, wo man sie konstant wahrzunehmen glaubte: an den Orten, wo sich Unerklärliches reproduzieren ließ, an „Kraftorten“. So ist es vorstellbar, dass die Altvorderen gerade deshalb über Wasseradern oder ähnlichen Stellen Kultstätten errichteten.

Kultur und Kulte der Altvorderen

"Kraftort" Eibenstein.
"Kraftort" Eibenstein. Foto: Thomas Schwierz

Dass die Altvorderen geeignete Plätze zum Wohnen und Meditieren bewusst aussuchten, liegt ebenso nahe.

Doch nachvollziehen können wir heute nicht, welche Kriterien sie hierbei hatten.

Seit der Jungsteinzeit hat der Mensch enorm an Wissen zugelegt, nur ist uns im Gegenzug sicher auch Wissen verloren gegangen. Die Kultur der Jungsteinzeit oder welcher Epoche auch immer lässt sich mit unserer gegenwärtigen Kultur und Zivilisation nicht im Geringsten vergleichen. Wir sollten uns daher nicht anmaßen, über die Gedanken, Vorstellungen und Kulte von Steinzeitmenschen urteilen zu können. Dazu gibt es keine Überlieferungen. Heimische Sagen vermitteln vielleicht eine vage Ahnung, doch wissen wir nicht wirklich, aus welcher Zeit und welchem Kulturkreis sie stammen. Die Bibel zeichnete die Denkweise von weit vor uns lebenden Menschen zumindest in einer Region der Welt auf. Die darin überlieferte Gedankenwelt ist weit klarer und weniger nebulos als unsere vielfach noch immer vom geistigen Mittelalter her geprägte Weltanschauung. In sich ist das Gedankengebäude der Bibel schlüssig. Man darf die Bibel nur keinesfalls wörtlich lesen, sonst erfasst man ihre auch heute noch topaktuelle Botschaft nicht.

Wenn man die Bibel liest, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Menschheit seither aber auch schon um gar nichts geändert hat. Faktum ist ebenso, dass unsere Kultur seit der Ausbreitung des Christentums in der Tradition der Bibel steht. Vorherige Weltanschauungen wurden zurückgedrängt und gingen weitgehend verloren.

Kultische Kontinuität an Kraftorten

Dass es auch in unseren Breiten vorchristliche Kultstätten gab, liegt zumindest nahe. Das sich ausbreitende Christentum stigmatisierte diese Stätten als Produkt reinen Aberglaubens, wovon manche Teufelssteine und Teufelssagen zeugen, oder übernahm und überbaute vorchristliche Kultstätten mit Kirchen, um den neuen Glauben leichter und widerstandsärmer etablieren zu können.(1) Viele kirchliche Feste wurden zeitlich so festgelegt, dass sie heidnische Feste ersetzten. Allein schon die meisten Namen der Wochentage verweisen (zum Teil) im Deutschen, deutlicher jedoch im Englischen auf vorchristliche, in diesem Fall germanische Wurzeln.(2) Eine Kultkontinuität an heiligen Orten erscheint plausibel.

(1) Beispiele: Heiligtümer auf dem Prozessionsweg über den Falkenstein nach St. Wolfgang, Maria Rast bei Helfenberg, Maria Taferl, Sonntagberg, Maria Rast auf dem Stein und viele andere. Auch Sagen um vertragene Kirchen, wo das Baumaterial über Nacht verschleppt oder Mauern zum Einsturz gebracht wurden, werden als Hinweis auf heidnische Hintergründe angeführt (Eibenstein/ Rainbach, Lichtenberg /Gramastetten).

(2) Montag = Tag des Mondes; Dienstag = Tag des Gottes Tyr = Mars Thingsus, Gott des Things, Dies Martis; Wednesday = Tag des Gottes Wotan; Donnerstag, Thursday = Tag des Gottes Donar = Thor; Freitag = Tag der Göttin Frija; Sonntag = Tag der Sonne.

Was sind „heilige Orte“?

Eine Antwort auf diese Frage finden wir im Alten Testament u. a. Bei Ex 3, 5; als Moses dem brennenden Dornbusch nahte, sprach der Herr: „Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ Moses spürte die Anwesenheit Gottes an diesem Ort und war mit Gott in Kontakt getreten. In seiner Bedeutung impliziert das Wort „heilig“ die Gegenwärtigkeit Gottes, den Kontakt mit Gott. Für den gläubigen Menschen ist jeder Ort, an dem das geschieht, heilig.
Nicht nur in Kirchen und sonstigen Sakralstätten, gerade auch draußen in der Natur ist andachtsvolles Innehalten möglich. Die Wunder und Schönheiten der Natur sowie besondere Naturerscheinungen können Menschen ebenso gut Anstoß zum Gebet und Quelle des Dankes oder der Ehrfurcht einem Höheren gegenüber sein. Auch der brennende Dornbusch war wissenschaftlich betrachtet eine pure Naturerscheinung.

Da wir Menschen nun einmal Teil dieser Natur sind, begegnet uns Gott offensichtlich auf derjenigen Ebene, die er samt uns geschaffen hat und die uns zugänglich ist: auf der Ebene der Natur.
Wir haben die Natur wissenschaftlich durchforstet und können heute viele Zusammenhänge verstehen, erklären, und stoßen just durch den enormen Zuwachs an Wissen immer deutlicher auf Grenzen, die sich verstandesmäßiger Einschau entziehen, „jenseits“ davon liegen.
Wissenschaft und Glaube sollten daher nicht im Widerspruch zueinander stehen. Wenn die Wissenschaft Gott, das Unendliche oder Transzendentale sogar als Möglichkeit generell ablehnt, verliert sie sich in sinnentleerter und letztlich selbstgerechter Enzyklopädie. Andererseits sollte, darf sich auch die Religion naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht verschließen. Beide müssen im Einklang stehen, um jeweils Glaubwürdigkeit zu bewahren!(3)

Um wieder zum Thema zurückzukommen: Wenn unsere Altvorderen mit der Rute besondere Plätze ausloteten und aus der Beobachtung, dass sich die Rute bewegt, die Gegenwart eines höheren Wesens ableiteten, dann waren diese Stätten für unsere Ahnen tatsächlich heilige Orte.

(3) Vergleiche dazu als Beispiel die Ausführungen von Erzbischof Kardinal Dr. Christoph Schönborn zur Evolutionslehre: „Keine Evolution durch blinden Zufall!“ stjosef.at/dokumente/evolution_ schoepfung_schoenborn.htm oder von Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun aus Salzburg: stjosef.at/dokumente/evo_laun.htm 22.03.2013.

Die „Kraft“ der Kraftorte

Weiterer Kraftort im Mühlviertel: Der Teufelstein bei Oberschwarzenberg.
Weiterer Kraftort im Mühlviertel: Der Teufelstein bei Oberschwarzenberg. Foto: Thomas Schwierz

Kraft benötigt man zur Bewältigung des Alltags. Woher nimmt man Kraft? Gläubige Menschen beziehen Kraft aus dem Gebet und innerer Einkehr, im sicheren Vertrauen auf die Gegenwart Gottes oder einer höheren Macht.
Unter Gebet ist hier nicht das Ableiern starrer Formeln gemeint. Worauf es dabei ankommt, das ist die Stille, das Horchen, das „Auf-Empfang-Schalten“.
Man kann in und aus der Stille die Gelassenheit zur nüchternen Üerprüfung von Positionen entwickeln und die Kraft gewinnen, eingefahrene Denk- oder Verhaltensmuster abzustreifen, sich zu entscheiden, zu handeln und ein Problem effektiv in Angriff zu nehmen. An Orten der Kraft, die nicht an bestimmte Lokalitäten gebunden sein müssen, lässt sich tatsächlich so etwas wie Erkenntnis oder Weisheit erlangen, vielleicht sogar Heilung. Im Begriff „Heilung“ steckt ja wiederum „heilig“ – als Achse zum Numinosen, Göttlichen. (Ich spreche hier ausdrücklich nicht von Wunderheilungen.
Diese müssen sehr kritisch hinterfragt werden.) Wenn man sich eine unheilbare Erkrankung vor Augen hält, die zum Tod führt, sollte der Betroffene damit leben – können –, ohne daran sofort zu zerbrechen. Angesichts der Verheißung, die die Religion für einen jeden von uns bereit hält, lässt sich die Kraft schöpfen, mit der Krankheit zu leben und das Ende nicht als Ende zu sehen.
Wurde diese Überzeugung, diese Zuversicht gewonnen, darf man durchaus von einer Art von Heilung sprechen. Die Kraft aus der Stille ist also eine konkrete, die unser Bewusstsein für die Möglichkeit neuer, unerwarteter Lösungen öffnet und hilft, den Alltag und damit das Leben zu meistern.
Haben es unsere Vorfahren an heidnischen Kultplätzen, die wir heute als Kraftorte bezeichnen, nicht genauso gehalten?

Prähistorische Kultplätze und Kraftorte

Nicht jeder Schalenstein war eine Kultstätte, und nicht jede Wasserader weist auf eine solche hin. Es gilt zu hinabzuwägen, was gesichert ist oder was jeweils dafür bzw. dagegen spricht. Und sobald statt gesicherter, beweiskräftiger (archäologischer) Fakten lediglich Indizien vorliegen, empfiehlt sich für die Beschreibung tunlichst der Konjunktiv. Hier gilt es, die Phantasie im Zaum zu halten und der – allgegenwärtigen Verlockung freien Interpretierens zu widerstehen!

Was können wir an/von prähistorischen Kultplätzen oder sonstigen (esoterischen) „Kraftorten“ mitnehmen?

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Wenn ich weiß, dass an einem bestimmten Ort Rute und Pendel ausschlagen und die Stelle als Kraftplatz ausweisen, frage ich mich stets, welcher praktische Wert konkret daraus resultiert.

Das allein physische Vorhandensein von Steinen mit Schalen oder Löchern wird kaum Besonderes erwarten lassen, aus dem sich merkbare, nachhaltige Kraft für das Leben schöpfen lässt.

Es handelt sich hierbei allenfalls um Naturdenkmäler, die zum Nachdenken anregen können. Wenn unseren Ahnen vorchristliche Kultstätten tatsächlich als „heilig“ galten, so deswegen, weil sie dort die Manifestation, die vermittelte Gegenwart eines höheren Wesens annahmen oder spürten. Welche religiöse Vorstellungen und Riten die Ahnen hatten, wissen wir im Detail nicht, doch es erscheint ausgeschlossen, dass Erdstrahlen und Wasseradern angebetet wurden.

Auch heute ergäbe das keinen ernsthaften Sinn (wenngleich ich eine gewisse Placebowirkung für sehr gut vorstellbar halte). Seit der Steinzeit haben wir an Erkenntnis gewonnen und wissen, dass es kein Geist ist, der an der Wünschelrute dreht. Damit hat sich die wahrgenommene und „geltende“ Realität weiterentwickelt.

Geomantische Orte weiterhin als Kraftplätze zu verehren, käme einer Negierung dieser Weiterentwicklung gleich und träfe überdies nicht einmal den tieferen Sinn, den diese Orte für die Vorfahren hatten!

Schlussfolgerung

Prähistorische Kultstätten und markante Naturdenkmäler sind heute nicht zwangsläufig Kraftplätze im spirituellen Sinn. Ob Kraftplätze Orte der Kraft sind, hängt wesentlich auch davon ab, was der Einzelne daraus macht: Und an Kraftorten kann man alles machen, ja, sogar einen Bund mit dem Teufel schließen. Soll dabei aber etwas Positives herauskommen, bedarf es in jedem Fall des – auf spekulationsfreiem Vertrauen beruhenden Glaubens. Kraftplätze und die um sie zusammengereimten neodruidischen Kultformen sind kein Ersatz für „echte“ Religion. Auf Steinschalen, Erdstrahlen oder Pendelausschlägen lässt sich kein tragfähiges und einer kritischen Durchleuchtung standhaltendes Weltbild aufbauen.

 

Autor:
Dr. Thomas Schwierz
Beitrag aus OO. Heimatblätter Heft 1/2 2015